Das Karolinenviertel im Wandel
Text von Dietmar Schimkat
Das Karolinenviertel ist ein Wohn- und Gewerbegebiet für ca. 3.500 Einwohner in Hamburg St. Pauli Nord. Die Bebauung dieses Stadtgebietes vor den Wallanlagen geht zurück auf das 16. und 17. Jahrhundert. Noch heute erinnern die Straßennamen Ölmühle und Glashüttenstraße an vorindustrielle Manufakturen. Im Winter 1813/14 wurden die Menschen ihrer Existenz beraubt; französische Besatzungstruppen planierten das Gelände vor den Toren Hamburgs, um die Stadt besser verteidigen zu können.
Nach dem zügigen Wiederaufbau säumten Garten- und Landhäuser die Karolinen- und Marktstraße. Die Wohnungsnot nach dem Großen Hamburger Brand 1842 sowie die Aufhebung der Torsperre 1860 und die wirtschaftliche Prosperität während der Gründerzeit von 1871 bis 1914 beschleunigten die Bautätigkeiten und führten zu einer erheblichen Verdichtung der Bebauung durch Terrassen- und Passagenhäuser. Damit veränderte sich die Sozialstruktur: Zu den bürgerlichen Milieus in den Vorderhäusern zogen Arbeiterfamilien, die in einfachen, überbelegten Wohnungen unterkommen mussten.
Eine Vielfalt von kleinen und mittleren Gewerbetreibenden gewährleistete eine umfassende Versorgung der Bewohner. Der 1890 erbaute Schlachthof und das zur gleichen Zeit in Betrieb genommene HEW-Heizkraftwerk erweiterte das Spektrum um industriell geprägte Großunternehmen.
Diese Entwicklung wurde durch die Not des Ersten Weltkrieges und den katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen bis 1945 dramatisch gesteigert. Im Karolinenviertel wurden – im Gegensatz zu Hamm, Horn und Rothenburgsort – nur ca. 20 % der Gebäude zerstört, die Grundstruktur des Viertels war dadurch weitgehend intakt.
Die Wohnverhältnisse im Karolinenviertel waren in den 1950er Jahren nicht nur durch die Knappheit von Wohnraum bestimmt, sondern erschwerend kam hinzu, dass die Stadtentwicklungsplanung für das Gebiet ein Messe- und Kongresszentrum vorsah, verbunden mit dem vollständigen Abriss des Wohngebiets. Die Häuser wurden von der Stadt aufgekauft und nur unzureichend instandgesetzt. Erst nach Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes Anfang der 1970er Jahre einhergehend mit einer wachsenden, kritischen Öffentlichkeit wurden die Konzepte der neuen Situation angepasst: 1983 begannen vorbereitende Untersuchungen, die 1988 in eine förmliche Festlegung als Sanierungsgebiet mündeten, verbunden mit der Einrichtung eines Sanierungsbeirates als Vertretungsorgan der Bewohner und Gewerbetreibenden. Die AGKV war von Beginn an Mitglied im Sanierungsbeirat und hat den Sanierungsprozess konstruktiv begleitet.
Die Wohnqualität und die soziale Infrastruktur konnten im Laufe der Jahre deutlich verbessert werden. Der Beirat hat sich 2012 für die Fortsetzung des Gremiums eingesetzt und gleichzeitig mit dem Hinweis auf mehrere noch nicht begonnene bzw. abgeschlossene Objekte Bedenken gegen den Abschluss der förmlichen Festlegung als Sanierungsgebiet Dezember 2013 ausgesprochen. Nach Ende der Festlegung besteht die Gefahr, dass die dann weitgehend freien Marktkräfte deutlich ihre ökonomischen Interessen zum Ausdruck bringen und dem Prozess der Gentrifizierung trotz einer gut gemeinten sozialen Erhaltungssatzung Schwung verleihen werden.
Sanierung muss den Menschen im Wohngebiet zugute kommen und nicht kapitalgesteuerten Investoren, die keine Bindung an das Quartier haben. Bewohner, die geblieben sind, müssen zuallererst Nutznießer dieser Verbesserung sein.
Das Zurückweichen der öffentlichen Institutionen verstärkt die Gefahr, den Sanierungsaufwand nicht den langjährigen Bewohnern zugute kommen zu lassen. Unter den gegebenen Machtverhältnissen ist der einzelne Mieter den teilweise international agierenden Investoren mit ihren Bankenverbindungen im Hintergrund hoffnungslos unterlegen. Flexible Initiativzusammenschlüsse, zum Beispiel in Form von Genossenschaften, können bedeutende Gegenmaßnahmen einleiten. Dazu gehört auch die Forderung, dem Bezirksamt Hamburg-Mitte unbefristet Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um den Alltag nach Abschluss der Sanierung zielsicher zu begleiten. Um die Verzahnung der Mieter und Mieterinitiativen mit der Verwaltung sowie mit den parlamentarischen Gremien zu gewährleisten, ist es erforderlich, das Fachamt für Stadtentwicklung als begleitende Institution weiterhin einzubinden. Es hat sich gezeigt, dass die Übergangslösung mit einem viermal jährlich tagenden Beirat, den sich schon anbahnenden Problemen nicht gerecht werden kann.
Es muss also angestrebt werden, einen Beratungstonus von 10 Tagungen im Jahr unter Geschäftsführung durch das Fachamt zu gewährleisten. Nur unter diesen organisatorischen Rahmenbedingungen kann eine qualifizierte Beiratsarbeit gewährleistet werden, die die Bewohner und Initiativen zur Mitarbeit anregen soll und die spezifischen Interessen langfristig weiterentwickeln kann.
Von der Rumbaumschen Schule zur AGKV
In den Jahren 1880–1900 entstanden im Zuge der Einführung des verbindlichen Volksschulwesens in Hamburg öffentliche und private Schulen, darunter auch unser heutiges Domizil die Rumbaumsche Schule, die als zweite Armenschule unter dem Dach der Michaeliskirche 1690 am Valentinskamp gegründet wurde. 1892 erfolgte ein Neubau am heutigen Standort in der Flora-Neumann-Straße 5, vormals Kampstraße und Grabenstraße 28, als Realschule. Im Zuge der Inflation 1923 wurde die Stiftungsschule um ein Stockwerk erweitert und als öffentliche Sonderschule fortgeführt. Die Heilpädagogische Schule zog 1982 in die Markmannstraße. Daran direkt anschließend erhielt die AGKV als Freier Träger der Jugendhilfe das Haus und Grundstück zur Nutzung für die stadtteilbezogene Sozialarbeit. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte übernahm 20 Jahre lang die Verwaltung des Objektes.
2003 löste der CDU-Senat die bezirklichen Liegenschaftsämter auf und konzentrierte die Aufgaben in der Finanzbehörde. Ab Juli 2007 wurde die Verwaltung unseres Grundstücks an die Sprinkenhof AG übertragen, die sich stärker marktwirtschaftlichen Prinzipien verpflichtet fühlt. Ein Nachtrag zum Mietvertrag von 1992 wurde im Juni 2012 unter Beibehaltung der bisherigen Konditionen unterzeichnet.